Rechtsanwalt Peter Feldkamp

Ende der 90er Jahre wurde eine Spezialabteilung bei der Staatsanwaltschaft Berlin eingerichtet, die sich fast ausschließlich mit Verstößen von niedergelassen Ärzten bei der Abrechnung gegenüber den kassenärztlichen Vereinigungen oder den Krankenkassen beschäftigt (Abrechnungsbetrug).

Nötig wurde die Einrichtung dieser Spezialabteilung für den Abrechnungsbetrug des Arztes, um zu gewährleisten, dass auch die Staatsanwaltschaft fachlich mit dem immer schwieriger werdenden Abrechnungswesen der Ärzte zurecht kommt. Nachdem bereits zuvor bei der Polizei die Sondergruppe „Medicus“ gebildet worden war, die sich ebenfalls auf diese Materie spezialisierte, sah man sich hierzu aus Sicht der Staatsanwaltschaft veranlasst. Seitdem bilden sich die Ermittler regelmäßig auf dem Gebiet des Abrechnungswesen fort und verbuchen aufgrund dessen mehr und mehr „Erfolge“, wie sich der örtlichen Presse fast täglich entnehmen lässt.

Hier soll nicht der Eindruck vermittelt werden, dass der Abrechnungsbetrug heute zum allgemeinen Repertoire der Ärzte gehört. Es sind die spektakulären Fälle, die in das öffentliche Bewusstsein dringen und den Eindruck vermitteln, als sei der Abrechnungsbetrug bereits die Regel oder auf dem Vormarsch. Allerdings muss jeder Arzt, der es mit der Abrechnung nicht so genau nimmt, damit rechnen, in das Visier der Ermittler zu geraten.

Die Krankenkassen verfügen heute über eigens eingerichtete Abteilungen, in denen die Möglichkeit der intensiven Prüfung von Abrechnungen besteht. Nicht selten führen diese Ermittlungen zu Strafanzeigen wegen Abrechnungsbetrug. Immer bessere Software prüft teilweise automatisiert die Plausibilität von Abrechnungen. Anzeigen werden auch von Seiten der Patienten erstattet, die z. B. der Ansicht sind, dass überhöht oder unrechtmäßig abgerechnet wurde. Auch sind Fälle bekannt, in denen eine Anzeige von angestellten Arzthelferinnen erstattet wurden, nachdem ihnen z.B. gekündigt wurden. Dabei ist zu beachten, dass die in einer Arztpraxis angestellten in der Regel kein Zeugnisverweigerungsrecht haben.

Wie erfährt der betroffene Arzt, die betroffene Ärztin von der Einleitung von Ermittlungen?

Die Polizei verschickt ein Ermittlungsschreiben, in dem mitgeteilt wird, dass ein Verfahren eingeleitet wurde. Meistens wird ein Termin genannt, zu dem der/die Beschuldigte gebeten wird, bei der Polizei zu erscheinen. Andererseits ist es auch möglich, dass die Polizei in der Praxis erscheint – je nach Lage des Einzelfalles – einen Durchsuchungsbeschluss vorzeigt und die Räume nach relevanten Unterlagen durchsucht, Festplatten kopiert oder gleich die EDV nebst Patientenkarten zur Auswertung mitnimmt.

Wie sollte man reagieren? Aus anwaltlicher Sicht kann nur empfohlen werden, keinerlei Aussage ohne genaue Aktenkenntnis zu machen. Keinesfalls sollte man sich spontan erklären. Später finden sich diese Angaben in Vermerken, die vor Gericht verwertet werden können.

Geht man zur Polizei aufgrund der o.g. „Ladung“, der man im übrigen nicht folgen muss, so wird der/die Beschuldigte von geschulten Polizeibeamten vernommen, ohne dass Akteneinsicht gewährt wird. Es wird dem/der Beschuldigten lediglich das mitgeteilt, was die Polizei für erforderlich hält. Akteneinsicht kann nur der Anwalt nehmen. Erst nach Aktenkenntnis sollte man sich – wenn überhaupt - zur Sache äußern!

Der Beamte, demgegenüber Äußerungen getätigt wurden, kann in einem Prozess als Zeuge vernommen werden.

Welche Beweise gibt es?

Sämtliche Unterlagen der Praxis, nebst EDV können zur Ermittlung herangezogen werden. Die Patienten werden häufig von der Polizei angeschrieben und befragt. Auch die Angestellten in der Praxis, vom Putzpersonal bis zur Auszubildenden können zur Sache befragt werden. Grundsätzlich hat das Personal kein Zeugnisverweigerungsrecht, auch wenn das Gegenteil häufig behauptet wird! Ein Zeugnisverweigerungsrecht kann in gesetzlich vorgesehenen Ausnahmefällen bestehen. Dies ist z.B. der Fall, wenn ein Verwandtschaftsverhältnis besteht (u.a. Ehe, Verlobung). Aber auch der/die Angestellte, der/die möglicherweise am Abrechnungsbetrug teilgenommen haben könnte, muss sich nicht selbst belasten (denkbar ist z. B. eine Mittäterschaft oder Beihilfe), sollte er/sie an Betrugshandlungen beteiligt gewesen sein. Jedem Arzt und jeder Ärztin sollte immer bewusst sein, dass jede/r Angestellte, die kein Zeugnisverweigerungsrecht hat, spätestens vor der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht verpflichtet ist, eine Aussage zu machen!  Nicht selten sind alle im Gerichtssaal überrascht, wie offensichtlich die Betrugshandlungen vor den Angestellten durchgeführt wurden.

Fazit: Im Falle der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Abrechnungsbetrug sollte der betroffene Arzt, die betroffen Ärztin gegenüber den Ermittlungsbehörden schweigen und sich sofort anwaltlicher Hilfe bedienen. Es sollte nicht abgewartet werden, bis die Staatsanwaltschaft eine Entscheidung getroffen hat. Man würde sich ansonsten um die Möglichkeiten der Einflussnahme auf das Ermittlungsverfahren bringen. Der Rechtsanwalt oder die Rechtsanwältin wird sofort einen Antrag auf Akteneinsicht stellen. Nach Akteineinsicht sollte geprüft werden, ob man weiter schweigt oder sich schriftlich oder mündlich zur Sache äußert. Keinesfalls sollte man auf das Personal oder die Patienten einzuwirken versuchen. Wird dies bekannt, kann dies sehr schwerwiegende Folgen für den Beschuldigten haben (Haftbefehl wegen Verdunklungsgefahr).

Wegen des Umfangs und der Schwierigkeit der meisten Ermittlungen in Berlin sowie der damit verbundenen Überlastung der Ermittlungsbehörden, dauern die Ermittlungen in Berlin mitunter mehrere Jahre!

Am Schluss der Ermittlungen steht entweder die Einstellung des Verfahrens mangels Tatverdachts, die Einstellung wegen Geringfügigkeit oder die Einstellung wegen geringer Schuld gegen Zahlung einer Geldbuße, der Erlass eines Strafbefehls oder die Anklage, die zu einem Strafprozess führt.

(in ähnlicher Form wurde dieser Artikel im Jahr 2004 erstmals im Berliner Ärzteblatt von Rechtsanwalt Feldkamp veröffentlicht)

© Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Feldkamp, Berlin

 

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